singt der Liedermacher Rainald Grebe. Jörg Baberowski, Professor für die Geschichte Osteuropas an der HU Berlin, zweifelt daran, dass die Worte Knopps Gesetz seien oder vielmehr, dass sie es sein sollten. Baberowski schreibt in der FAZ vom 30. Mai 2014:
“History-TV“ gibt es nur, weil jene, die Dokumentarfilme produzieren, glauben, dass intelligente Menschen nicht fernsehen. ((Jörg Baberowski: Unsägliche TV-Dokus. Geschichte für Trottel, in faz.net, 30.5.2014))
Aber nicht nur der prominenteste deutsche Fernsehhistoriker ((seinen Doktortitel erhielt Knopp 1975 von der Universität Würzburg für seine Arbeit über die “Einigungsdebatte und Einigungsaktion in SPD und USPD, 1917 – 1920 unter bes. Berücksichtigung der ‘Zentralstelle für Einigung der Sozialdemokratie'”)) kriegt von Baberowski sein Fett weg, auch andere TV-Dokumentationen, im Besonderen aber eine Dokumentation ((abrufbar bis zum 20. Mai 2015)), die die ARD am 19. Mai 2014 in der Reihe “Geschichte im Ersten” ausstrahlte.
Als Experte weist Baberowski der Dokumentation grobe Fahrlässigkeit nach. Daneben begrüßt er es aber, dass vom Knoppschen Stil der Instanz der Professors, die oder der kaum Inhalte vermittele, und dem obligatorischen Zeitzeugen vor schwarzem Hintergrund abgerückt werde. Was Baberowski aber als stärkstes Argument gegen die Stalin-Dokumentation der ARD anführt, ist, dass kaum kontextualisiert werde. Statt für den Zuschauer einzuordnen, wäre die ARD-Dokumentation eine Ansammlung “bunte[r] Filmaufnahmen, die ohne Sinn und Verstand zusammengeschnitten wurden.” ((Jörg Baberowski: Unsägliche TV-Dokus. Geschichte für Trottel, in faz.net, 30.5.2014))
Wo Baberowski bei Knopp die angestrebte Zielgruppe für nicht besonders intelligent hält, überfordert die ARD mit ihrer Geschichtsdokumentation also die Zuschauer, indem sie eine sinnlose Abfolge bewegter Bilder versendet, die wohl nur zur Illustration für die Zuschauer dienen bzw. gesendet werden, “weil man die Bilder eben hat”, selbst aber nichts erzählen. Abgesehen von einem kurzen Einschub darüber, dass die Frage danach, ob kolorierte Bilder einer Zeit, die den meisten ZuschauerInnen nur aus schwarz-weiß Aufnahmen bekannt ist, das Erleben/Nachvollziehen von Geschichte verändern, macht Baberowski allerdings keinerlei Vorschläge, wie man es hätte besser machen sollen.
Die Fehler in den Fakten, die er nachweist, wären durch eine umsichtigere Redaktion und die Zusammenarbeit mit Fachleuten sicherlich vermeidbar gewesen – allerdings verfügt aktuell nur das ZDF über eine offiziell beworbene Geschichtsredaktion, die 2013 aus der Zeitgeschichtsredaktion und der Redaktion von Terra X zusammengelegt wurde ((Vgl. Uwe Mantel: Plattformredaktionen. Synergien erhofft: ZDF legt Redaktionen zusammen, in DWDL.de, 22.2.2013)).
An deutschen Historischen Seminaren echauffiert man sich gern über Guido Knopp. Seine starke Fokussierung auf den NS-Staat und besonders auf die Person Hitler in Zusammenhang mit sicherlich diskussionswürdigen Aussagen und Darstellungsweisen polarisieren. In Sachen Einschaltquote ist Knopp allerdings erfolgreich, was nicht für Qualität stehen muss, aber zeigt, dass Knopps Dokumentationen bei FernsehzuschauerInnen durchaus beliebt sind. Das stellt in Frage, ob Geschichte immer hoch wissenschaftlich sein muss. Für Historiker muss sie das vermutlich sein:
Die allermeisten Geschichtsdokumentationen funktionieren erstaunlich gut ohne die visuelle Komponente. Ich empfehle ein kleines Experiment: Einfach mit dem Smartphone vor dem Einschlafen eine Doku auf YouTube aufrufen, das Display nach unten drehen und zuhören. Man wird überrascht sein, wie dünn und platt das Vermittelte häufig ist. Dokus gewinnen deutlich an Wert, wenn es audiovisuelle Quellen zum Thema gibt. Kamerafahrten über alte Dokumente und Bilder, “Forscher”, die in alten Büchern blättern oder Reenactment-Theater sind hingegen Eye-Candy, das man braucht, um die Zuschauer zu locken oder eben Füller. ((Michael Schmalenstroer: Wie realistisch müssen Fernsehdokumentationen sein?, in schmalenstroer.net, 28.12.2013))
Insofern müssen sich Historiker vielleicht eingestehen, dass sie nicht zur Zielgruppe von “Histotainment” gehören, so wie vermutlich auch die wenigsten Naturwissenschaftler zur Zielgruppe der Knoff-Hoff-Show oder Harald Leschs Sendungen gehören. Wie akkurat diese sind, kann ich persönlich nicht beurteilen. Baberowskis Artikel würde ich auch eher als einen Ausdruck dessen verstehen, was große Teile der deutschen Geschichtswissenschaft und Teile des Feuilletons seit Jahren über Geschichtsdokumentationen denken. Ausgerechnet Spiegel Online brachte es 2009 auf den Punkt:
“Der Führer geht immer”, sagen die Zyniker, und manche von ihnen haben schon auf die sechsteilige Serie “Hitlers Hunde” gewettet. ((Reinhard Mohr: Histotainment im TV: Geschichte in happy Häppchenform, in SpiegelOnline, 11.2.2009))
Der Basler Historiker und Filmemacher Achatz von Müller formulierte ein häufiges Historiker-Unbehagen:
“Für mich ist das Hauptproblem von diesem Typus Knopp, er ist ja gar nicht einmal alleine, dass ganz und gar auf eine Emotionalisierung der Geschichte gesetzt wird, dass in intensiver Weise Suggestionsmittel verwandt werden, dass Dokumente eingesetzt werden, die in Wirklichkeit gar keine Dokumente sind, sondern Inszenierungen. Etwa Wochenschauen aus den 30er Jahren sind Inszenierungen durch den Machtapparat.” ((Thomas Wagner: Aktuelle Geschichtsforschung mit neuen Medien. Der 46. Historikertag in Konstanz, in deutschlandfunk.de, 21.9.2006))
Historiker wenden sich von solchen “weitgehend fremdbestimmten Bilderwelten” vielfach ab, so auch der Flensburger Geschichtsprofessor Gerhard Paul:
“Der Flensburger Historiker Paul hat Konsequenzen aus diesen weitgehend fremdbestimmten Bilderwelten gezogen: Er schaut kaum noch fern, seine Bilder stellt er sich im Internet selbst zusammen – und: „Ich lese wieder“. Aber Herr K. wird dennoch weiter senden.” ((Frank van Bebber: Aversionen gegen Herrn K., in tagesspiegel.de, 25.9.2006))
Oliver Näpel, Dozent am Historischen Seminar und am Institut der Didaktik der Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, findet zwar, dass Knopp der Geschichte im Fernsehen einen festen Sendeplatz verschafft habe, aber:
“Um die Geschichtswissenschaft aber macht er sich nicht verdient. Dazu sind die Interessen und auch die Ansichten von Geschichtswissenschaft und seinen Dokutainment-Sendungen zu unterschiedlich, sie funktionieren jeweils nach ganz anderen Gesetzen. Die Erzählweisen sind völlig unterschiedlich; die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft werden durch die Sendungen nicht bekannter gemacht, weil sie dort oft gar nicht aufgegriffen oder thematisiert werden. Und wenn die Leute zu weiterführender Literatur greifen, dann sind es meist Begleitbücher zu den einzelnen Sendungen. Ich beziehe mich jetzt nicht nur auf Guido Knopp – aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive taugt das alles nichts, auch die Begleitbücher nicht, weil sie häufig nachweisbar geschichtswissenschaftlich falsch oder zumindest zweifelhaft sind. Jetzt ließe sich diskutieren: Was ist eine lässliche Sünde, was muss man dem Unterhaltungsmedium Fernsehen auch zugestehen? Aber ich sehe das etwas strenger: Sendungen, die Bildungsfernsehen sein wollen oder sollen, müssen eben auch in irgendeiner Weise bilden. Ein Mindestmaß wissenschaftlicher Korrektheit muss dabei gegeben sein.” ((Jonas Budkiewitz und David Rüschenschmidt: “Bildungsfernsehen sollte auch bilden!” Ein Gespräch mit Oliver Näpel über Chancen und Probleme von Geschichte im TV, in laboratorium-fuer-geschichte.de, 27.8.2012))
Das Problem: während Knopp und Konsorten regelmäßig viele Zuschauer vor den Fernseher locken können, gibt es wenige fachwissenschaftliche Publikationen, die Bestseller werden – und verhalten sich Historiker nicht hier auch gerne markttreu und bedienen sich ähnlicher Mechanismen wie die Histotainer, wenn sie pünktlich zum Supergedenkjahr 2014 eine breite Masse an Publikationen zum Ersten Weltkrieg veröffentlichen? Wie genau könnten für HistorikerInnen akzeptable Geschichtsdokumentationen aussehen, die auch beim “Laien”-Publikum gut ankommen?
“Obwohl so viel Wissenschaftsprosa wie nie produziert wird, nimmt kaum ein Laie je Kenntnis davon – bei der schieren Menge dessen, was heute an Universitäten publiziert wird, muss das zwar kein kulturelles Verfallssymptom sein, aber absurd ist die Vorstellung, dass da offensichtlich notorisch und irgendwie auch unhinterfragt für eine Antiöffentlichkeit geschrieben wird, schon.” ((Katharina Teutsch: Danke und nichts für ungut! Geisteswissenschaften ganz bei sich, in Public History Weekly. Blogjournal for History and Civics Education, 29. Mai 2014))
Wie lässt sich “Public History” so gestalten, dass Fachwelt und Laien damit weitgehend zufrieden sind? Welche Verkürzungen zur besseren Zugänglichkeit sind für Histotainment erlaubt? Gibt es dafür bereits empfehlenswerte Beispiele?
Empfehlenswerte Beispiele wird jede/r für sich anders definieren.
Gut gemachtes Histotainment finde ich nach wie vor die Reihe 60 Mal Deutschland, die in 15 Minuten versucht, jeweils ein Jahr in Deutschland seit der Gründung beider deutschen Staaten 1949, über die Wiedervereinigung bis ins Jahr 2009 nachzuvollziehen. Es ist kurzweilig und bietet in meinen Augen genau die richtigen Anknüpfungspunkte zur weiteren Beschäftigung.
Ein anderes Beispiel ist Guido Knopp selbst: abseits seines großen Histotainment-Erfolges initiiert er gelegentlich auch Dinge, die mir gefallen. Da wären zum einen die Gespräche, die er in den 1980ern führte und die ich hier nicht verlinke, weil Herr Schmalenstroer sonst wieder etwas zu bloggen hat. Und auch das aktuelle Projekt der “History live” Diskussionsrunden auf Phoenix ist interessant, weil es in meinen Augen tatsächlich das versucht, was sich so viele Historiker ((von denen sich einige auch sonst erstaunlich gerne vor Knopps schwarze Wand setzen)) wünschen: längere Diskussionen zu einem bestimmten Thema im Fernsehen.
Darüber hinaus gibt es aber auch fachliche Beschäftigung mit dem Thema, die ersten Public History Lehrstühle in Deutschland sind bereits eingerichtet. An der Universität Gießen kann man sich in den Studiengang Fachjournalistik Geschichte einschreiben, in Berlin gibt es den Masterstudiengang Public History bereits, in Heidelberg befindet er sich noch im Aufbau.
Mit herzlichem Dank an @Erbloggtes für das Korrekturlesen.
6 comments
Kann nur zustimmen. Ein internationaler Vergleich wäre meiner Ansicht nach bei der wissenschaftlichen Analyse interessant. Mich würde z.B. die Frage interessieren, ob sich beispielsweise nationale oder anderweitig gruppenbezogene Deutungsmuster erkennen lassen, wie die von Baberowski aufgezeigte Sicht auf Stalin als “Russen”.
Herzlichen Dank für diesen Uberblick. Mich stört an “Professor” Knopps Methode die unkritische Übernahme der Nazi-Wochenschauen, die nur das Zeigen was der Zuschauer sehen soll. Es prägt ein Bild vom NS-Staat, das vollkommen falsch ist. Es ist ganz im Sinne von Goebbels Hitler-zentriert und verdeckt die Komplexität des Machtsystems.
Ganz genau, wir gehen dem Diskurs der Nazis immer wieder auf den Leim, das ist ein sehr gutes Beispiel.
Besser spät als nie… Mir fiel dazu das noch ein: https://www.swr.de/-/id=9620702/property=download/nid=660374/1eg912/swr2-wissen-20120528.pdf
Vielen Dank, das ist sehr interessant!